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  Überleben in Betzdorf
Jenseits von guter Stadtatmosphäre weiß man mit seiner Freizeit hier nichts mehr anzufangen

"An Betzdorf führt kein Weg vorbei!" steht auf dem Werbeschild vor der nach Urin riechenden Unterführung nahe des Elefantenklos zur Viktoriastraße. Eine klare Drohung an alle, die nicht wissen, wie sie sonst auf die andere Schienenseite kommen sollen. Auf den Internetseiten des Kreises Altenkirchen wird in der Kategorie "Tourismus - das Siegtal " der Betzdorfer Werbespruch folgendermaßen begründet: "Der Slogan An Betzdorf geht kein Weg vorbei ist nicht nur werbewirksam für die Einkaufsstadt, sondern auch zutreffend. Als Verkehrsknotenpunkt an der B 62 und der Eisenbahnlinie Köln-Siegen und als Schnittstelle für die Hellertal- und Daadetalbahnen nimmt die Stadt eine Schlüsselrolle ein." Gerade letzteres ist traurig. Die Menschen können sich also gar nicht aussuchen, ob sie durch Betzdorf fahren wollen oder nicht. Mindestens 8 Ampelanlagen müssen bewältigt werden, um dem Betzdorfer Straßencharme zu entfliehen. Tägliche Staus geben den verzweifelten Autofahrern dank der undurchdachten Straßenführung im wahrsten Sinne des Wortes Zeit, über den Werbeslogan nachzudenken. Bestes Beispiel dafür ist die teure Kreuzung mit Brückenanlage zum Molzberg und die darauf folgende nochmals mit einer Ampelanlage versehene Supermarkteinfahrt. Ein Tunnelprojekt soll das Verkehrschaos entlasten, doch bis jetzt ist noch keine Bohrung zu sehen. Wenn es jedoch so weit ist, werden alle Bewohner die Bohrgeräusche im idyllischen Städtchen an der Sieg hören können.

Flucht in die Großstädte

Was würden die Menschen und vor allem die Schüler des Gymnasiums Betzdorf/Kirchen machen, gäbe es keinen Anschluss an das Eisenbahnnetz? Wie sollten sie dem kleinstädtischen Treiben wirtschaftlicher Fäulnis entfliehen? Wie froh ist man doch darüber, am Wochenende nach Siegen oder Köln zu fahren, um dortige Angebote nutzen zu können, die es in Betzdorf nie gab oder die verschwinden, wie z. B. das Zentraltheater, das eine lange Zeit den Weg ins Siegener Kino erspart hat.

Dramatische Entwicklung der Geschäftsschließungen

Im Vorwort des neuen Buches "Immer in Bewegung - 50 Jahre Betzdorf" sagt Bürgermeister Michael Lieber: "Die Geschichte der letzten 50 Jahre hat gezeigt, wie sich ein Gemeinwesen auch in einem schwierigen Umfeld behaupten kann. So mussten für den Wegfall von Arbeitsplätzen bei der Bahn und im Erzbergbau neue moderne Unternehmen angesiedelt werden. Die Herausforderungen waren und sind groß." Welche modernen Unternehmen sind gemeint? Dazu fielen einigen befragten Schülern des Gymnasiums nicht mehr als zwei hiesige Unternehmen ein, Schäfershop und Wolf-Gartengeräte. Erst vor einigen Jahren schloss das Kaufhaus "AKA-City" seine Pforten und vergebens suchte die Stadt nach möglichen Nachfolgern, bis dann schließlich in der Lokalpresse zu lesen war, dass sich zwei Bewerber gefunden hätten, die entweder ein Erotikparadies oder eine muslimische Glaubensakademie errichten wollten. Bis jetzt steht das alles überragende schwarze Wahrzeichen leer. "Wo man hinschaut, ist was zu vermieten oder zu verkaufen.", stellt ein junger Betzdorfer fest. Das öffentliche Leben entfleucht langsam aber sicher aus dem kleinen Siegstädtchen.

Armes Betzdorf

Was ist los mit Betzdorf? Gibt es nicht eine Lösung die Stadt zu modernisieren oder besser, sie komplett neu zu gestalten? Ein reichhaltiges Angebot an naheliegenden Kaufhäusern und Fachgeschäften zu schaffen, einen zentralen Marktplatz, der umringt von Cafés mit Flair, junge Leute anzieht? Mehr Natur als Beton? Köln hat zwar den Rhein, aber Betzdorf dafür Sieg und Heller, die zusammenfließen, von denen man aber höchstens etwas wahrnimmt, wenn Betzdorfer Parkplätze und Gärten unter Wasser stehen. Man könnte doch das Zusammenfließen dieser Flüsse vom Betonmantel befreien und mit einem Panoramaufer ausstatten, an dem sich die Leute tagsüber und in der Nacht am wohlklingenden Plätschern des Wassers und Schnattern der Gänse, Enten und Schwäne erfreuen können.
Viele Ansätze gäbe es sicherlich, aber solange es keine politische Kraft mit entsprechendem Know How gibt, heißt es immer noch: "An Betzdorf führt kein Weg vorbei!" - "Leider!"
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Fabian Emde vom 13.03.2004